Howard Carpendale – war das unsere Zeit?

Unsere Zeit: Howard Carpendale live in der Olympiahalle München 2015

Konzertbericht

„Das ist unsere Zeit“: Wenn dieser Albumtitel nicht geboren wurde, um live gespielt zu werden, welcher dann? Doch unsere Zeit bedeutet nicht nur eine unterhaltende Zeit. Gemeinsam in Nostalgie schwelgen, Ängste teilen – bis das Licht ausgeht.

Howard Carpendale Live
Howard Carpendale regte mit seinem Konzert zum Nachdenken an.

Howard Carpendale hat sich einen Narren an der Zeit gefressen. Wo er auftritt, ist die Zeit das Thema. Im baldigen Buch, auf CD und auf Tour. Eigentlich steckt jedoch viel mehr dahinter. Nämlich ein nachdenkliches Auseinandersetzen mit dem, was auf der Erde passiert. Dem Planeten, der von oben aussieht wie eine Kugel aus blauem Knetgummi. Mit seinem Konzert in der Münchner Olympiahalle am gestrigen Abend manifestierte er seine Sorgen um das einstige Paradies.

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Kurzlebiges und facettenreiches Programm

Howard Carpendale ist offen für Neues, seit kurzem nutzt er Facebook-Mentions und sein Konzert öffnete mit pulsierenden Elektroklängen. Der Opener „Das ist unsere Zeit“ war somit überraschend, aber genauso unaufgeregt wie Howard Carpendale, als er lässig wie immer die Bühne hinauf schlenderte. Begleitet wurde er dabei unter anderem von seinen drei Backgroundsängern, die der hohen Frauenquote in der Olympiahalle den Kampf ansagten, seinem musikalischen Leiter, der doch lieber in der Begleitband von Cro oder Sido wäre und einem Bassisten, der sich ein Bein rasiert, um seine Frau weniger zu vermissen – so versicherte es zumindest der Schlagersänger.

Trotz dieser ungewöhnlichen Umstände brachte der 69-Jährige ein kurzlebiges und facettenreiches Programm auf die Bühne. Klassiker wie „Ti Amo“ oder „Deine Spuren im Sand“ streute er gekonnt unter neuere Nummern wie „Es ist alles noch da“ oder Evergreens wie Elvis' „Always on my mind“. Für die aktuelle Single „Nah am Herzen“ stolzierte der Musiker sogar hinab zu seinen Fans. Über die ganze Nummer hinweg bahnte er sich glückselig einen Weg durch den Smartphone-Dschungel, der plötzlich wucherte. Meistens war die Stimmung gut. Wie ein Bienenschwarm mit Hummeln im Hintern sprangen die Damen jedoch bei „Tür an Tür mit Alice“ auf.

Ein Song wie ein Konzert

Doch Kurzlebigkeit und Unterhaltungswert stehen nicht im Kontrast zur Botschaft – jedenfalls nicht bei Howard Carpendale. Nach der Pause wartete der Vater von zwei Söhnen mit einem Auftritt auf, der diesen Bericht alleinig hätte füllen können. Die Krawatte und das Jackett legte er ab, seinen stolzen Blick ebenso. Aus der Pause kehrte er zurück wie ein gebrochener Mann in Kapuzenjacke, die Hände in den Taschen. Gefangen in der Zwangsjacke einer Gesellschaft, in der Menschen wie Fliegen zerdrückt werden.

Eingeleitet wurde die unfassbare Inszenierung durch einsame Klavierklänge, die zum hängenden Kopf des Kultsängers passten. Als er „Astronaut“ anstimmte, glimmte nur noch eine letzte Glühbirne. Als er den Song beendete, knipste er das Licht aus. Vorbei – war das unsere Zeit, Howard Carpendale? Er verließ die Bühne. Als er fort war, heulte ein Saxophon im Scheinwerferlicht dem letzten Stück Menschlichkeit auf Erden hinterher. „Astronaut [..], selbst ein Krieg sieht für dich so harmlos aus.“

So schnell vergeht unsere Zeit

Natürlich kehrte er danach zurück – ohne Kapuzenjacke, wieder mit befreiten Händen, Charme und bester Laune, die das Publikum stets ansteckte. Mit „Nachts, wenn alles schläft“ lieferte Howard Carpendale zum Ende hin noch das zweite große Highlight. Freudentaumel im Publikum und auf der Bühne. Dieses persönliche Lieblingslied des Sängers wäre der ideale Abschluss gewesen.

Doch natürlich würden seine Fans ihn nicht ohne eine Zugabe gehen lassen. So sollte es auch kommen. Howard Carpendale gab nochmal einen großzügigen Nachschlag. Und dennoch: Schnell verging unsere Zeit.

Melanie Gladbach
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