Es ist wahrlich kein pietätloser Aprilscherz, wenn Anja-Maria Stampfli morgen im Rahmen ihres Buches „Udo Jürgens hautnah“ die ein oder andere zweifelhafte These über den verstorbenen Künstler in die Welt hinausposaunt. Als Stalkerin und fanatische Verfolgerin war sie in den Medien bereits verschrien. Den Komiker Karl Dall zerrte sie in einem Vergewaltigungsprozess vor Gericht. Ohne Erfolg: Dall wurde freigesprochen. Damals sagte Udo Jürgens im Prozess als Zeuge aus: Anja-Maria Stampfli habe alle verrückten Fans übertroffen.
Groschenroman über Udo Jürgens
Im Rahmen des Prozess gegen seinen Freund sagte Jürgens laut dem Schweizer Online-Portal blick.ch: „Sie war besessen von mir“. Auf eine Anzeige verzichtete der im Dezember Verstorbene jedoch. Möchte die Journalistin in ihrem Buch nun ihre Sicht der Dinge bekräftigen? Wenig biografisch mutet ihr Stil an: ausschweifende Erzählungen, bildhafte Beschreibungen, dramatische Wendungen. Es ist ein astreiner Groschenroman auf Kosten von Udo Jürgens.
Soll der Legende nun drei Monate nach seinem Tod noch die letzte denkmalsschädigende Prägung verliehen werden, wenn Anja S. beschreibt wie aus „diesem Udo Jürgens“, der von ihren Eltern verehrt wurde, ihr Geliebter wurde? Es ist die Geschichte eines jungen Mädchens, das auf die Galionsfigur Udo Jürgens trifft. Ein Star auf dem großen Parkett, ein Frauenschwarm wie er Buche steht, aber eben auch eine verletzliche Persönlichkeit.
Wie die Jungfrau zum Kind, kommt die junge Nachwuchsjournalistin zu einem Interview mit dem Musiker, der zugleich Interesse an ihrer nervösen Persönlichkeit zeigt. Mehr als ein Hauch „50 Shades of Grey“ durchzieht die denkwürdigen 144 Seiten. Der verführerische Worte „flötende“ Udo Jürgens umgarnt die kleine Anja, die selbst damit überfordert ist, ihren „Jupe“ zurecht zu zupfen. Es heißt Rolls Royce gegen VW Golf, Apfelschorle gegen Champagner. Die Geschichte spinnt sich weiter über Distanz und Nähe.
Von abgestandener Luft und fetten Weibern
„Ich bin Journalistin und Fotografin. Und kein Groupie. Und Fan bin ich schon gar keiner“, schreibt die Autorin in ihren Enthüllungsbuch. Doch genau wie ein Fanfiction-Roman wirkt ihre Geschichte: dramatisch, verträumt und auf eine perfide Art romantisiert. Udo Jürgens, der nun nach seinem Tod immer mehr zur Ikone erwächst, wird mit schmutzigen Attributen bombardiert. Ja, dass er gerne jungen Frauen verfiel und Probleme mit festen Beziehungen hatte, ist wahrlich nicht neu. Dass alte Damen für ihn wie „abgestandene Luft“ waren und die Autorin als „hässliches, fettes Weib“ bezeichnet haben soll, scheint obskur.
„Enthüllungsbuch“ schimpft sich das Buch „Udo Jürgens hautnah“. Ein kurzweiliges Verhältnis mit Anja S. gestand Udo Jürgens im Rahmen des Karl Dall Prozesses ein. Ansonsten ähnelt das Werk einer kleinen Fangeschichte, die einen bitteren aber auch beruhigenden Beigeschmack der Realitätsferne hinterlässt.
Nicht verwunderlich also, dass Anja S. heute Angst hat: „Ich erhalte anonyme Mord-Drohbriefe“, sagte Anja S. gegenüber der Schweiz am Sonntag – Morddrohungen, vermutlich von aufgebrachten Fans, die in ihrem Buch mehr die Verleumdung einer musikalischen Ikone, als die traurige Wahrheit sehen.