Endlich hat Deutschland mit Helene Fischer einen neuen echten Schlagersuperstar, mögen viele denken. Und sie sorgte mit „Atemlos durch die Nacht“ 2013/14 für einen echten Megahit. Seitdem spielt sie in der obersten Liga, doch weitere große Schlagerhits folgten nicht. Stattdessen erreichte die Sängerin mit altbekanntem Weihnachtsliedgut erneut die Nummer eins der deutschen Album-Charts. Ihr Freund Florian Silbereisen tourte in den letzten Monaten durch Deutschland und präsentierte die größten Schlagerhits – zum Großteil Lieder aus den letzten 50 Jahren. Mit dabei waren unter anderem die Kollegen DJ Ötzi und Ross Antony, die ihre Popularität unter anderem mit Coverhits steigern konnten („Einen Stern, der deinen Namen trägt“, „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“). Matthias Reim wiederum feierte im vergangenen Jahr ausgiebig ein 25 Jahre altes Lied. Es sind nur ein paar Beispiele dafür, dass sich immer mehr Schlagerfans fragen: Wo bleiben eigentlich die neuen Hits?
Schlager entdeckt Pop, Pop verliert die Angst vor Schlager
In den letzten Jahren fluteten Coverversionen und recycelte Hits den deutschen Musikmarkt. Heino verschlagerte erst Rocksongs und verrockte dann seine Schlager. Peter Kraus zeigte, dass Hip-Hop-Texte auch im Fifties-Style funktionieren. Kürzlich legte jetzt Annett Louisan nach und coverte sich durch die deutschsprachige Liedgeschichte – von Udo Jürgens über Tokio Hotel bis hin zu Wanda. Kritiker könnten sagen: Fällt denen nichts Neues ein? Doch bei genauerem Hinsehen geht es nicht nur um einen Covertrend, der auf fehlender Kreativität basiert. Die Grenzen zwischen Pop und Schlager vermischen sich seit Beginn des neuen Jahrtausends in der deutschen Musikszene zunehmend. „Tage wie diese“ von den ehemaligen Punkern Die Toten Hosen ist längst im Schlagerkosmos angekommen. Auch einzelne Subgenres vermischen sich stärker und nutzen dies als kreative Chance. Seit drei Staffeln geht es bei „Sing meinen Song“ außer um ideale Promo auch genau darum: Musiker öffnen sich für das Liedgut von genrefremden Kollegen. Und so wird es in Zukunft sicherlich noch häufiger Sängerinnen wie Julia Lindholm geben, die große Popmelodien mit deutschen Schlagertexten mischen.
Nicht vergessen: Hits brauchen Zeit
Wer sich damit nicht anfreunden kann und lieber komplett neue Schlagerhits will, der sollte zudem noch einen ganz anderen Aspekt beachten. Die Auswahl war früher deutlich kleiner, jeder Sänger und jede Sängerin musste sich gegen weniger Konkurrenz durchsetzen und hatte zudem deutlich mehr Zeit sein Publikum von einem Lied zu überzeugen. Heute nehmen sich immer weniger Menschen aber genau diese, um sich ein Album komplett in Ruhe anzuhören. Was nicht sofort funktioniert wird weggeklickt. Und oft ist nach ein zwei Wochen schon ein neues Lied spannender. Das liegt nicht immer nur an den Melodien, den Akkorden und den Stimmen – es liegt auch an der eigenen inneren Unruhe. Hits haben immer schon etwas Zeit gebraucht, oft erkennt man ihre wahre Größe erst im Nachhinein. Wer sie sucht, sollte sich etwas gedulden, dann kommen sie bestimmt bald wieder.