Gesang - So bleibt die Stimme gesund!
Die eigene Stimme ist für Sänger und Sängerinnen das höchste Gut, denn wenn sie versagt, kann die Karriere schneller zu Ende gehen, als sie begonnen hat. Die moderne Stimmforschung hilft, das zu verhindern und das Maximale aus ihr herauszuholen.
Professor Hartmut Zabel vom Studio für Stimmforschung der Musikhochschule Dresden erzählt im Interview mit SchlagerPlanet, wie man sich eine gesunde Stimme bewahrt und warum falscher Ehrgeiz mehr schaden als nützen kann.
SchlagerPlanet: Herr Zabel - kann jeder Mensch singen lernen?
Hartmut Zabel: Jeder Mensch kann singen lernen! Die Veranlagungen für die besondere Begabung ein herausragender Musiker zu werden, die sind wie in allen Bereichen unterschiedlich. Dazu kommt der Grad der Intensität im frühkindlichen Singeprozess. Heute ist bekannt, dass sich die Anlagen für die Entwicklung des Gehirns bereits beim Fötus formen und durch das Singen außerhalb des Mutterleibs positiv herausgebildet werden. Das Vorsingen durch Mutter, Vater und Geschwister führt zu einer reichhaltig vernetzten Struktur der Synapsen im Gehirn. Damit steigen auch die Chancen für Entwicklung von Musikalität, Kreativität, Sensibilität, die wiederum wichtige Ausgangssysteme für den beginnenden gesamten Denkprozess eines Kindes bilden.
SP: Woher weiß ich, ob meine Stimme für ein Gesangstudium reicht?
H.Z.: Da gibt es ganz verschiedene Beratungsformen. Zum einen sollte das Singen immer gefördert werden. Das kann in einem Chor oder in einer Musikschule oder in einer privaten Stimmbildung geschehen. Musikalische Grundlagen wie Notenkenntnisse, Harmonielehre und ein sicheres musikalisches Gehör sind untrennbar mit einer Stimmbegabung verknüpft. Beratungen gibt es durch die über 1000 Musikschulen oder an den Hochschulen. In Dresden werden kostenfreie, informatorische Vorsingen angeboten, wo wir mit Interessenten intensiv arbeiten und ihnen am Ende etwas zu ihrer Begabung sagen können. Nicht immer führt eine gesund klingende und schön timbrierte Stimme auch zu einer erfolgreichen Aufnahmeprüfung. Hier frühzeitig Weichen anzubieten, um die Entwicklung zu fördern oder Interessenten auch auf andere Berufe zu orientieren, sehen wir als eine wichtige Aufgabe an.
SP: Sie bieten Ihren Studenten (aber auch der Öffentlichkeit) durch das Studio für Stimmforschung eine besondere Begleitung an. Können Sie Ihr Konzept und die Aufgaben Ihres Studios kurz vorstellen?
H.Z.: Das Studio für Stimmforschung ist das älteste Institut seiner Art in Europa. Es ist fest integriert in eine Hochschule und bietet drei Serviceleistungen an:
1) Die Reihenuntersuchung: Wir bieten allen Studienanfängern im Bereich klassischer Gesang und Jazzgesang eine langwierige Reihenuntersuchung an, die sie auch gern nutzen. Hier werden allgemeine Fragen zur Größe, zur Klangqualität, zum Stimmumfang, zur Registerproblematik, zum Verhältnis von Sprech- und Singstimme geklärt. Es folgen eine phoniatrische Untersuchung und eine intensive Klanganalyse, um das Verhältnis von Physiologie, Quantität und Qualität einschätzen zu können. Am Ende besteht die Möglichkeit, dass die Hauptfachlehrer eine Auswertung erhalten und somit Vorschläge für eine beginnende Unterrichtsstrategie erarbeitet werden können.
2) Die Stimmforschung: Kleine Veränderungen der Atmung, der Einstellungen im Kehlkopf, der Ansatzrohrkonfiguration führen zu gravierenden klanglichen Variabilität. Durch die Ergebnisse in der Forschung erhoffen wir uns mehr Objektivität bei der Methodenentwicklung sowie bei der Effizienz der Ausbildung.
3) Die Betreuung während des Studiums: Es ist wichtig – ähnlich wie im Leistungssport – die Sängerinnen und Sänger einer regelmäßigen phoniatrischen Kontrolle und einer regelmäßigen Klanganalyse zu unterziehen, um eventuelle Fehlentwicklungen frühzeitig begegnen zu können. Sollte dafür die Indikation gegeben sein, können wir sehr schnell und zeitnah geeignete therapeutische Maßnahmen einleiten, um die Balance einer gesunden Singweise wieder herstellen zu können.
SP: Wie können Ihre Erkenntnisse aus der Stimmforschung Sänger/innen ganz praktisch helfen?
H.Z.: Da gäbe es das Beispiel aus dem laufenden Atemprojekt. Die Einatemphase ist eine entscheidende für die Phonation. Die Länge der Phrase, Intensität und Balance werden schon vor dem Singen vorbereitet. Durch unsere Untersuchungen konnten wir feststellen, dass hier große Reserven für die Studierenden bestehen, die es zu nutzen gilt. Das können wir mit jedem einzelnen der Probanden besprechen und daraus die notwendigen strategischen Schlussfolgerungen für den Einzelnen ziehen. Die Modellierung des Ansatzrohres – also dem Bereich von der Glottis bis zu den Lippen – dient der Veranschaulichung von Konfigurationsmöglichkeiten und ihre Auswirkungen auf den Klang. Das erleichtert das Verständnis für den Singevorgang, der ja ansonsten ein rein empirischer bliebe. Die Klanganalyse als Verlaufsuntersuchung soll veranschaulichen, wie sich die einzelnen Klangbereiche entwickelt haben. Das wird bei jedem Studierenden vorgenommen. Die Auswertung mit Hilfe der grafischen Darstellung geschieht ebenso individuell.
Das sind nur 3 Beispiele für die Nutzung der Forschung für den Unterricht.
SP: Können Sie einen kleinen Ausblick geben, welche Bereiche in der Stimmforschung noch zu entdecken sind?
H.Z.: Im Moment ist es ganz spannend, die minimalen Veränderungen des Raumes direkt oberhalb der Stimmlippen zu untersuchen. Sie können uns Auskunft über etwaige Lautstärkeveränderungen und über das Strömungsverhalten von Phonationsluft sowie des sich verändernden Klanges geben. Interessant sind auch neue Untersuchungen zum Adduktionsverhalten der Stimmlippen. Inwieweit gelingt es, ein gutes Verhältnis von langer Schlussphase und kurzer Öffnungsphase zu trainieren, ohne die Stimmlippen zu überlasten. Gerade unter dem Aspekt der zunehmenden Lautstärke im Orchestergraben ist das ein wichtiger Gesichtspunkt der Forschung. Schließlich kann man die Lautstärke nicht wie bei einem Radio durch Drehen des entsprechenden Reglers regulieren. Das sind beim Singen sehr komplizierte Mechanismen, die miteinander in einem Bereich von einer Millisekunde funktionieren müssen.
SP: Was sind die größten Dos und Don´ts fürs Stimmtraining?
H.Z.: Das Stimmtraining sollte immer einhergehen mit dem Entwicklungsstand einer Stimme. Eine unforcierte gesunde und natürliche Stimmgebung sind immer ein Zeichen für eine langlebige Stimme. Die Wahl von Literatur, die nicht altersadäquat ist, die Kinder oder Jugendliche zum Schreien zwingt, kann für eine gute Entwicklung nicht zuträglich sein. Das Singen über das eigentliche Stimmfach hinaus führt ebenso zu Überlastungssyndromen, die vor allem junge Sänger zur Pause zwingen. Falscher Ehrgeiz von Sängern oder ihrer Lehrer sind oftmals der Ausgangspunkt für Fehlentwicklungen. Fehlende Ruh- und Entspannungsphasen, lange Stressabschnitte und eine ungesunde Lebensweise sind Störfaktoren, die die Leistungsfähigkeit stark negativ beeinflussen – ob im klassischen Gesang, im Popularbereich, oder Musical.
SP: Gibt es „Erste-Hilfe-Maßnahmen“, wenn die Stimme streikt?
H.Z.: „Stimme heißt Stimme, weil sie einem sagt, ob es stimmt“. Und so sollte bereits bei ersten Anzeichen einer Rauheit oder einer leichten Heiserkeit nach dem Singen eine Pause und etwas Stimmruhe eingelegt werden. Das Singeorgan besitzt ein hervorragendes Selbstregulierungssystem, auf das man sich verlassen kann. Es kann sich um einen beginnenden Infekt handeln oder um eine Überlastung. Schonend zu singen ist eine Fähigkeit, die Sängerinnen und Sänger lernen müssen. Markieren, Oktavieren und Sprechen können Mittel sein, eine anfängliche Fehlbalance zu überwinden. Sollten die Symptome schwerwiegender sein und länger anhalten, ist die Konsultation eines Phoniaters unbedingt notwendig, der weitere Therapiemaßnahmen initiieren kann.
SP: Was sind die schönsten Momente in Ihrem Beruf als Dozent und Stimmforscher?
H.Z.: Die schönsten Momente im Leben eines Gesangslehrers, Stimmforschers und Therapeuten sind ganz unterschiedlich gewichtet. Über eine hervorragende Entwicklung eines jungen Sängers, der über 4-7 Jahre mit mir zusammenarbeitete und am Ende mit einem Engagement an einem Theater oder in einem Rundfunkchor belohnt wird, freue ich mich natürlich sehr, weil mir dabei auch die vielen Zeiträume durch den Kopf gehen, wo wir nach Lösungswegen gesucht und ausprobiert haben, bis sich der passende Weg finden ließ. Gerade in Krisenzeiten ist der Studierende großen seelischen Belastungen ausgesetzt. Hier das richtige Verhältnis von Kritik, Aufmunterung, Motivation und Ruhe zu finden, ist nicht leicht für den Lehrer. Wenn dann im Ergebnis ein Entwicklungssprung steht, ist das ein wirklicher Glücksmoment.
In der Forschung steht und fällt natürlich alles mit dem Ergebnis oder Teilergebnis nach einer langen Messanalyse und deren Auswertung. Auch die Bestätigung einer Negativannahme kann ein Erfolg sein. Für mich ist die tägliche wunderbare Zusammenarbeit im Team des Studios für Stimmforschung ein solches Glücksgefühl, dass vor allem der Elan für neue Strategien und Ideen nicht schwächer wird.
Als Therapeut erlebt man den Erfolg oftmals im wahrsten Sinne hautnah. Es geht einem unter die Haut, obwohl ich gerade in dieser Arbeit eine gesunde Distanz zum Patienten aufbaue. Aber wenn die Stimme wieder in der geforderten Balance funktioniert und einsatzfähig ist und der Sänger wieder in den Beruf einsteigen kann, dann erlebt man diesen Moment als etwas ganz Besonderes. Und das unterscheidet sich dann auch von den anderen Tätigkeiten. Denn hier handelt es sich um den Wiederaufbau einer gestörten Singstimme, deren professioneller Einsatz über einen längeren Zeitraum gefährdet war und an dem eine Existenz hängt, die nun wieder erlangt wurde.
SP: Welche Eigenschaften muss ein Studierender mitbringen oder entwickeln, um Ihrer Meinung nach eine erfolgreiche Karriere im Musikbereich hinzulegen?
H.Z.: In erster Linie muss er ein ergiebiges und entwicklungsfähiges Stimmmaterial besitzen, dass verknüpft ist mit einem individuellen und schönen Timbre, der Stimmfarbe. Eine hohe Grundmusikalität, ein ausgeprägtes und sensibles Hörvermögen für differenzierte Klänge, Harmonien und Intervalle sind ebenso Voraussetzung wie die Fähigkeit ganz natürlich und altersadäquat Inhalte zu vermitteln, die den Sängerinstinkt unterstreichen. Eine unforcierte gesunde Stimmgebung ist für diesen Beruf natürlich eine notwendige Basis. Die Stimmgebung sollte frei von Verspannungen vor allem im Schulter- und Kieferbereich sein, weil sich ansonsten der Klang nicht frei entfalten kann.
Oftmals erkennt man schon am Vortrag des "A cappella Volksliedes", ob eine Sängerbegabung vor der Jury steht oder nicht. Die meisten Bewerber präsentieren leider ein Programm, was sie nicht beherrschen, mit dem sie überfordert sind oder das über ihrem derzeitigen Leistungsstand liegt. Die Stimmen klingen dadurch überaltert, stark rückverlagert oder forciert. Da erlebe ich oftmals den Ehrgeiz von Bewerbern oder auch ihrer Lehrer der Hochschulausbildung vorweg greifen zu wollen. Das ist nicht notwendig. Im Gegenteil. Wir wollen die Stimmen gern vom ersten Tag des Studiums an aufbauen und nicht über Monate abbauen und reduzieren, um dann mit der eigentlichen Ausbildung beginnen zu können. Bei einem vierjährigen Bachelorstudium steht die Zeit dafür kaum zur Verfügung.
Hier liegt eine besondere Verantwortung in der Heranbildung junger Sängerinnen und Sänger an die Berufsausbildung bei den Gesangspädagogen in den Musikschulen, den Konservatorien den Chören und bei den Selbstständigen. Deren Leistungen für eine erfolgreiche Bewerbung ihrer Schüler kann man gar nicht hoch genug einschätzen.
SP: Vielen Dank für diese tollen Einblicke!