Es fängt schon bei der Verwirrung um den Namen an: „Eurovision Song Contest“? Grand Prix? Eurovision de la Chanson? Na, wie heißt er denn nun, der europaweite Musikwettbewerb? Egal. Nennen wir ihn schlicht „ESC“. Das jährliche Event fand gerade erst letztes Wochenende statt. Gewonnen hat die Ukraine. Ob aus politischen Gründen oder auch nicht, das bleibt nach wie vor streitig. Fakt ist aber, dass Jamala den Sprachen-Fauxpas gekonnt „umsungen“ hat: Die Ukrainerin trug ihren Siegersong größtenteils auf Englisch vor – also gar nicht in der Landessprache, doch mit einer überraschenden Wendung: Mittendrin wechselt Jamala die Sprache und singt ihren Titel „1944“ plötzlich mit diesen exotisch klingenden Worten:
„Yaşlığıma toyalmadım
Men bu yerde yaşalmadım
Yaşlığıma toyalmadım
Men bu yerde yaşalmadım“
Diese krimtatarischen Zeilen heißen übersetzt:
„Ich konnte meine Jugend dort nicht verbringen,
weil ihr mir mein Land wegnahmt.
Ich konnte meine Jugend dort nicht verbringen,
weil ihr mir mein Land wegnahmt.“
Sprachliches Statement setzen
Eine politische Anspielung? Ja. Doch auch ein Statement. Eine sprachliche Ansage, ganz nach dem Motto: Ich präsentiere mein Land und damit auch meine Sprache. Jamala hat genau das getan, was nur wenige Teilnehmer des „ESC“ machen: Sie hat – zumindest teilweise – in ihrer eigenen Sprache gesungen. Heutzutage ist das selten geworden. Denn Anglizismen verdrängen die heimischen Dialekte und es wimmelt nur so von englischen Songtexten.
Jamala holt den Sieg für die Ukraine.
Aber seit wann ist es eigentlich so, dass die Lieder nicht mehr in der eigenen Landessprache vorgetragen werden? Genau gesagt seit 1999. Im Jahr 1966 wurde eine Sprachen-Regel ins Leben gerufen, die besagte, dass die „ESC“-Teilnehmer in ihrer Landessprache singen müssen. Die Sprachenpflicht hielt aber gerade einmal knapp sieben Jahre. Denn von 1973 bis 1977 pausierte die Regel und seit Ende der 90er Jahre gibt es überhaupt keine sprachliche Vorschrift mehr – zugunsten der Plattenindustrie, die somit auf ein größeres, internationaleres Repertoire an Songs zugreifen kann.
Sprachen-Dilemma des „ESC“
Englisch ist der Spitzenreiter der Sprachen: Bisher wurden knapp 30 Titel auf Englisch gesungen. Französische Texte kommen mit knapp über einem Dutzend auf den zweiten Platz. Auf einen deutschen Titel müssen wir jedoch noch warten. Das liegt vielleicht auch daran, dass sich deutsche Texte unrund und nicht harmonisch anhören. Möglicherweise liegt darin der Grund, warum so selten in unserer Landessprache gesungen wird.
Fragen und Antworten zum „Eurovision Song Contest“ 2016.
Doch es drängt sich noch eine Frage auf: Hängt die Sprache der Lieder mit der Popularität des „ESC“ zusammen? Würden sich Texte in der Landessprache positiv auf die Beliebtheitsskala des Musikevents ausrichten? Vielleicht. Sicherlich wären dann wohl nicht mehr politische Texte oder schrille Outfits das Aufreger-Thema, sondern Lieder, die die Künstler in ihrer eigenen Sprache präsentieren. Eine gute Sache hat das Sprachen-Dilemma zumindest jetzt schon: Es lenkt von der eigentlichen Verwirrung um den Namen des Eurovision de la…, Verzeihung des „ESC“ ab.
Früher „ESC“-Gewinner und jetzt? Das machen die Sieger von damals heute.