„ESC“-Debakel: Viel Rauch um Nichts
Rauch ist kalt, stählern, kühl und genau diesen Eindruck scheint auch Ann Sophie beim „ESC“ hinterlassen zu haben. Null Punkte sind das Ergebnis des langen ARD-Abends. Für Deutschland ist diese Ohrfeige ernüchternd und unverständlich.
Ein deutsches Debakel: Waren durch den Song „Black Smoke“ (deutsch: schwarzer Rauch) die Sinne der Eurovisions-Länder vernebelt? War ein galant mit Overall geschmückter Hintern zu viel für unsere Nachbarländer? Fragen über Fragen, aber eine Antwort, warum Ann Sophie mit null Punkten Wien verlassen musste, wird nur schwerlich gefunden. Wo andere Länder von ihren Nachbarländern bedacht werden, geht Deutschland leer aus. Wo andere Länder für optische Ergüsse Lorbeeren einfahren, geht Deutschland leer aus. Es ist nicht verwunderlich, dass die Deutschen sich wieder ungerecht behandelt fühlen.
Keine Brücke für Deutschland
„Zum Finanzieren sind wir also noch gut genug“ oder „Das ist kein Votum gegen Ann Sophie, sondern gegen Merkel“ ist im Netz zu lesen. Dabei wurde doch von Moderatorin Alice Tumler betont, dass es heute Abend um Musik gehe und darum „Brücken zu bauen“. Handelt es sich im Falle von Deutschland wirklich um eine Brücke, die wegen Ann Sophies Rauchschwaden nicht zum Übergang behelfen konnte oder ist es vielmehr so, dass Deutschland beim „ESC“ so unbeliebt und eingemauert ist, dass auch ein Feuerwerk nicht über die Grenzen des Landes hinaustreten könnte?
Dass der „ESC“ ein Politikum ist, kann kaum abgestritten werden. Schon allein der Sieg Conchita Wursts im letzten Jahr war ein Statement und zugleich Affront gegen andere teilnehmende Länder. Doch Politik, freiheitliche Denkweise und Weltoffenheit ist auch beim „ESC“ nicht alles. Immerhin holte sich am Wochenende mit Måns Zelmerlöw ein junger Herr die Trophäe, der zuvor mit homophoben Äußerungen Schlagzeilen gemacht hatte. Und auch bei Russland hat die politische Wünschelrute nur teilweise ausgeschlagen. Die Buhrufe gegen Polina Gagarina waren trotz erhöhter Sound-Vorkehrungen in der Wiener Stadthalle nicht zu übertönen. Und dennoch fuhr sie mit „A Million Voices“ nicht nur Punkte aus den Ländern, die die Abstimmung für Russland als guten Nachbarschaftsdienst sehen, ein.
Es sind immer die anderen
Es sind immer die anderen: „Die Ostblock-Staaten schieben sich die Punkte zu“ und dann kurz darauf der verzweifelte Ausruf „keiner mag uns“. Einige Deutsche monieren nun Dinge, aus denen sie anderen Ländern einen Strick drehen. So vermissen sie die freundschaftlichen Nachbarspunkte, die Belgien oder Italien mit tollen, außergewöhnlichen Beiträgen einsacken konnten und vergessen über alle politische Hater-Diskussion den Auftritt der jungen Sängerin Ann Sophie, der nun mal beim „ESC“ das Aushängeschild Deutschlands war. Professionell, grundsolide und vielleicht sogar etwas zu anspruchsvoll war die etwas blasse Inszenierung der 24-Jährigen, ein Auftritt, der beim ersten Sehen und Hören nicht gleich – wie könnte es bei einem Song mit dem Namen auch anders sein – Funken der Begeisterung sprühen lässt.
Marketing und Präsenz sind auch beim „ESC“ ein allgegenwärtiges Thema. Einen Marketing-Schritt ist Deutschland stets hinterher: Während alle anderen in den Semifinals die Feuertaufe antreten, können die „Big Five“ fleißig Däumchendrehen und müssen sich anderweitig bemühen, den Weg durch das Geräusche-Labyrinth in die Gehörgänge der Eurovision-Gemeinschaft zu finden. Vielleicht wurde es Ann Sophie zum Verhängnis, dass ihre bemüht altbackene Inszenierung, die Europäer aus dem rauchigen, nebelumwobenen Nichts erwartete. Auch einige internationale Termine konnte Ann Sophie aufgrund ihrer Gesundheit nicht besuchen. Und dieses unglückliche Los hätten vermutlich auch Andreas Kümmert oder Stefan Raab gezogen.