Beinahe neun Millionen Deutsche verfolgten am vergangenen Samstagabend, den 10. Mai 2014, den Auftritt der 25-jährigen Travestiekünstlerin Conchita Wurst beim 59. Eurovision Song Contest (ESC) in Kopenhagen. Mit ihrer unverwechselbaren Art und einer einzigartigen Performance holte sie den Sieg für Österreich.
Nicht nur das Musikevent, auch die TV-Quoten konnten sich sehen lassen. In diesem Jahr schalteten rund 760.000 Deutsche mehr den Fernseher an, als im Jahr zuvor. Mithalten konnte dagegen nur der Krimi auf dem Zweiten. Der Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen betrug 41,9 Prozent, das entsprach 4,48 Millionen - der Hälfte aller Zuschauer insgesamt. In der Spitze schalteten 10,81 Millionen Zuschauer ein.
Nicht nur Deutschland, ganz Europa war im ESC-Fieber: Insgesamt verfolgten rund 180 Millionen Zuschauer in 45 Ländern das Spektakel.
So reagierte die Siegerin
Conchita Wurst ist überwältigt. Zu Tränen gerührt sagte sie: „Das hier ist nicht nur für mich, sondern für alle, die an die Zukunft, Liebe, Frieden, Toleranz und Akzeptanz glauben“ und für eine Welt, „die ohne Ausgrenzung und Diskriminierung funktionieren kann.“
Nun wird die 25-Jährige gefeiert. Besonders ihre Landsleute sind stolz: „Österreich ist stolz und freut sich über die große europäische Anerkennung.“ Es sei eine große Ehre und Auszeichnung für Österreich, sagte der ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger.
Russland: „Es ist das Ende Europas“
Nur einer war nicht begeistert: Russland. Harte Kritik kam von Vize-Regierungschef Dimitri Rogosin, der twitterte: Das Resultat zeige „Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet - ein Mädchen mit Bart.“
Komplett schwarz sah Wladimir Schirinowski, ein nationalistischer Abgeordneter, der im russischen Fernsehen den Niedergang Europas vorhersagte: „Unsere Empörung ist grenzenlos, das ist das Ende Europas. Da unten gibt es keine Frauen und Männer mehr, sondern stattdessen ein Es.“ Er ging sogar noch weiter und spielte auf die russische Besatzung Ostösterreichs nach dem Zweiten Weltkrieg an: „Vor 50 Jahren hat die sowjetische Armee Österreich besetzt, es freizugeben war ein Fehler, wir hätten dort bleiben sollen.“
Rückhalt aus dem eigenen Land
Viele Stimmen erreichten Conchita Wurst aus dem Netz. Der österreichische Kabarettist und Musiker, Alf Poier, bekannte sich nach kritischen Worten doch positiv: „Gratuliere Conchita! – Auch wenn Dein Beitrag nicht nach meinem Geschmack war. – Aber Platz 1 für Österreich ist sensationell. So viel Fairness muss sein! – Hut ab!“ Auch Heinz Fischer, der österreichische Präsident, lobte: „Das ist nicht nur ein Sieg für Österreich, sondern vor allem für Vielfalt und Toleranz in Europa.“
Marco Angelini kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus: „COOOOOONCCCCHHHHIIITTTA;) WAHHHHNSINNN! EUROPA STEHT AUF FÜR RESPEKT UND TOLERANZ! ICH WUSSTE ES!!!!!! Jaaaaaa;)“ Und: „Mehr als verdient!!!! HAMMMMMER! DIE BESTE WERBUNG FÜR ÖSTERREICH SEIT JAHREN!“
Udo Jürgens: Europa schreit nach Freiheit!
Zuletzt hatte es Udo Jürgens geschafft, im Jahr 1966 den ESC-Sieg für Österreich zu holen. Obwohl er sich anfangs recht kritisch zeigte, ist er nun stolz auf die Sängerin Conchita Wurst: „Wie ich diesen Druck gespürt habe, der da auf sie ausgeübt wird, ist meine Sympathie gestiegen. In dem Moment wurde mir klar, dass sie große Chancen hat und das vielleicht sogar gewinnen wird.“
Als er das erste Mal davon gelesen habe, dass ausgerechnet eine Dragqueen Österreich in Kopenhagen vertreten solle, sei er überrascht gewesen: „Sowas ist man ja nicht gewöhnt, eine Frau mit Bart“, doch letztendlich gab es viel Lob: „Sie hat das gut gemacht, war glaubwürdig und ernsthaft, und hat am Schluss auch noch ein Statement für Frieden und Zusammengehörigkeit abgegeben“, sagte Jürgens. „Das hat mir gefallen. Ob sie einen Bart hat oder nicht, ist letztendlich überhaupt nicht wichtig. Man sollte Menschen so anerkennen, wie sie sind.“
Auch Europa leistete einen unterstützenden Beitrag. „Europa hat viel Toleranz gezeigt“, so Jürgens. „Mir kam das vor wie ein Aufschrei nach Freiheit.“
Internationaler Zuspruch
Die ganze Welt ist begeistert. Schon vor dem ESC-Auftritt hatte die 25-Jährige über 200.000 Facebook-Fans hinzugewonnen. Und ihre Twitter-Follower haben sich vervierfacht: Innerhalb von 48 Stunden hatte sie 45.000 Fans mehr.
Ein großes, internationales Lob kam von Lady Gaga: „Conchita Wurst, you complete me“, gratulierte die amerikanische Popsängerin. Und auf Facebook schrieb Gaga: „Congratulations to this years winner of Eurovision Conchita Wurst. She slayed with her beautiful vocals and message of freedom and equality.“ Zu Deutsch: „Herzlichen Glückwunsch an die Eurovison-Gewinnerin Conchita Wurst. Sie überzeugte mit wundervollen Tönen und einer Nachricht von Freiheit und Gleichberechtigung.“
„Heute sind wir alle Österreicher“, freute sich Hape Kerkeling. „Ein klares Statement mit Stil hat gewonnen, das ist überaus erfreulich“, meinte der Satiriker Oliver Kalkofe.
In typischer Oliver Pocher Manier witzelte der Komiker auf seiner Facebook-Seite: „Conchita Wurst – Das neue '2 Girls 1 Coup'“, was aber nicht alle Fans lustig fanden. Und er fügte hinzu: „Es ist soweit! Das Wurst-Case Szenario ist eingetreten!“
Unsere Mädls bleiben stolz und stark
Während ganz Europa die Wurst feiert, ist das deutsche Frauentrio Elaiza mit ihrem 18. Platz trotzdem zufrieden: „Uns geht's super. Wir freuen uns einfach darüber, dass wir eine geile Woche hatten“, sagte Sängerin Ela gegenüber Medien.
Das Trio ist dankbar: „Wir sind sehr glücklich, dass wir diese tollen Tage in Kopenhagen erleben durften und dass uns Deutschland diese Chance gegeben hat. Wir haben wirklich unser Bestes gegeben, um unser Land würdig zu vertreten. Natürlich hofft man auf ein paar Punkte mehr, aber beim ESC ist es ein bisschen wie bei Olympia: Dabei sein ist fast alles! Herzlichen Glückwunsch an Conchita Wurst und Österreich!“
So geht es weiter für Conchita
Direkt nach ihrer Ankunft in Wien am Wochenende, trat Conchita vor die Presse und gab klare Pläne vor: „Mein größtes Ziel ist ein Grammy – und auf dem Weg dorthin nehme ich alles mit, was ich kriegen kann.“ Ihr Traum ist für die 25-jährige Dragqueen womöglich bald greifbar. Ihrem Manager zufolge seien bereits mehrere Anrufe von amerikanischen TV-Produzenten eingegangen. Nächste Station: Big Apple? „Natürlich, ich will die ganze Welt!“