„Ich möchte kein offenes Buch sein“
Christina Stürmer erzählte SchlagerPlanet im exklusiven Interview von ihrer Erfahrung bei Facebook, ihrer Lieblingsmusik und natürlich: von ihrem neuen Album „Ich hör auf mein Herz“.
Freitag, 15:25 Uhr: Die Redakteure von SchlagerPlanet warten gespannt auf das Interview mit Österreichs erfolgreichster Sängerin Christina Stürmer. Dann öffnet sich die Tür und eine gutgelaunte, grinsende Christina Stürmer betritt den Catering-Raum des Münchner Backstages. Noch schnell ein Orangensaft und schon geht es los…
- SchlagerPlanet: Am 19. April erschien Dein neues Album „Ich hör auf mein Herz“. Inwiefern hast Du Dich mit diesem Album weiterentwickelt?
Christina Stürmer: Naja, man wird natürlich auch älter. Wir haben uns bei diesem Album wirklich mal Zeit gelassen. Bis jetzt erschien ein Album nach dem anderen, fast jährlich Eines! An diesem Album haben wir eineinhalb Jahre geschrieben und uns wirklich Zeit gelassen. Wir hatten keine Live-Konzerte nebenbei, sondern hatten wirklich nur das Album. „Weiterentwicklung“ ist selbst schwer zu sagen, weil es ist ja nicht so, dass wir sagen: „Wir wollen uns jetzt neu erfinden!“. Ich singe gerne deutsch und mag einfach Pop und Rock. Es müssen auf jeden Fall Gitarren sein! Natürlich probiert man dann aber auch was im Studio aus. Auch wenn es aber mal nicht nach „typisch Christina“ klingt, wie z.B. „Millionen Lichter“, es ist aber trotzdem noch Christina Stürmer. Bei dem Wort „Weiterentwicklung“ erwartet man sich immer etwas Riesengroßes.
- SP: Wie würdest Dein neues Album in drei Wörtern beschreiben?
CS: In drei Wörtern? Das ist schwer! Es ist sehr positiv, im Gegensatz zum letzten Album, das war eher melancholisch. Es hat auch mehr mit „Aufbruch“ zu tun. Und Herz halt. (lacht)
- SP: Hast Du dabei neue Facetten an Dir entdeckt?
CS: Wir haben uns einfach mehr Zeit gelassen und dadurch habe ich für mich entdeckt, dass ich das allgemein mehr genießen kann. Vorhin ist alles so schnell gegangen, jetzt kann alles sickern. Auch bei der Themenauswahl für die Songs wurde viel mehr überlegt und herumgefeilt. Es sind nun auch Songs darauf, wo ich mit Kopfstimme singe. Kopfstimme war für mich früher eher etwas, was ich nicht so gut konnte. Damit habe ich mich nie wirklich anfreunden können. Bei meinem neuen Album haben wir jetzt zwei, drei Stellen, bei denen das so gepasst hat – und die auch echt gut klingen. Ich war selbst sehr überrascht. Und auch die Plattenfirma meinte: „Das ist ja richtig gut!“ Das wirkt halt dadurch auch sehr zerbrechlich.
Neue Facetten… Ich mag´s immer gerne, wenn es Gegensätze gibt. Wie z.B. der erste Track „Auf und davon“ - der ist sehr kraftvoll. Man wird dann auch immer gern als die „Rockröhre“ bezeichnet. Dann sind aber auch Songs drauf wie „Wieviel wiegt dein Herzschlag“ oder „Was machst du, wenn die Stadt schläft?“ Das sind doch schwerere Themen, die aber auch sehr zerbrechlich wirken und sehr intim sind. Da steht auch die Stimme sehr im Vordergrund.
- SP: Was bedeutet der Albumtitel „Ich hör auf mein Herz“ für Dich persönlich?
CS: Ich glaube immer daran, dass es Menschen gibt, die mehr Kopf-Menschen sind und Menschen, die mehr aus dem Bauch heraus entscheiden, in dem Fall Herz-Menschen. Mir wurde es schon in die Wiege gelegt, denn meine Eltern machen das ähnlich wie ich. Es muss sich jede Entscheidung gut anfühlen. Es muss sich für mich auch gut anfühlen, es sollte nicht immer so kopflastig sein. Das war immer schon mein Leitsatz. Als die vier Jungs und ich bei dem Album zusammensaßen, da war „Herz vs. Kopf“ immer ein großes Thema. Als wir die Songs aufgenommen haben, hatten wir zwei Songs mit dem gleichen Titel. Dann mussten wir uns entscheiden, welchen Song wir aufnehmen und bearbeiten wollen und entschieden uns für einen. Dann überlegten wir, wie das Album heißen soll. Die vier Jungs von der Band und auch das Management haben alle gesagt: „Christina, das liegt eigentlich total auf der Hand. Wir haben jetzt diesen Song, du redest ständig von ihm, lass uns danach arbeiten.“ Dann war es irgendwann glasklar!
- SP: Welche Songs haben autobiografische Züge?
CS: Es ist überall etwas drin. Es sind Geschichten von mir oder Geschichten, die meine Freunde bewegen. Es ist schwierig für mich, denn ich möchte einerseits immer autobiografisch, anderseits kein offenes Buch sein. Der Hörer soll sich auch reinversetzen können. Man muss einen Nenner finden, wo sich das dann trifft. Ich möchte schon, dass immer etwas Persönliches drin ist, aber dass der Hörer zuhause nicht eine Geschichte aufgedrückt bekommt, sondern dass er noch so viel Interpretationsfreiraum hat, dass er selbst etwas drin sieht oder findet.
- SP: Du nimmst Deine Inspiration aus dem Leben?
CS: Ja, auch aus anderen Menschen. Z.B. „Amelie“ ist durch eine Facebook-Geschichte entstanden. Man bekommt da ja sehr viel mit, man kann Nachrichten schreiben – das mach ich ja immer selber – wobei es im Moment sehr viele sind. Die Fans schütten dort auch das Herz aus und das geht nicht an mir vorbei. Das beschäftigt mich jetzt nicht Tag und Nacht, aber trotzdem kommt das manchmal hoch. Wenn ich über Themen nachdenke, fällt mir ein, dass sich so viele Mädls nicht schön genug fühlen und dann Kommentare schreiben wie: „Christina, wir bewundern dich so. Du stehst auf der Bühne…“ Im Endeffekt denk ich mir: „Klar, das ist richtig, dass ich auf der Bühne stehe, aber ich koche auch nur mit Wasser. Es ist schon noch ein großer Unterschied, von dem was wir auf der Bühne darstellen und einer Lady Gaga. Also nichts Schlechtes über Lady Gaga, aber sie ist halt eher eine Kunstfigur. Mir fällt auf, dass es vielen Fans an Selbstbewusstsein mangelt. Sie wären ja bildhübsch, aber sehen das nicht so. Man kann nicht auf jeden 100% eingehen, aber das Thema war immer da. Daraus ist der Song „Amelie“ entstanden.
- SP: Du gibst momentan viele Konzerte in Deutschland. Was bedeutet es Dir, auch Fans außerhalb Österreichs zu haben?
CS: Sehr viel! Wir hatten erst Tour-Auftakt in Wien – das war super! Bei mir ist es so, dass ich keinen wirklichen Unterschied auf der Bühne merke, ob ich in Wien oder irgendwo in Deutschland bin. Früher wurde mir immer gesagt, dass man ein bisschen aufpassen muss. Wenn man in Hamburg oder irgendwo im Norden spielt, sollte man beachten, dass der „typische Deutsche“ doch eher der Kühlere ist. Dann habe ich einmal in Hamburg gespielt und dachte mir, dass das etwas schwierig wird. „Wenn die nur stehen und gucken?“ Aber nachdem Konzert habe ich mir gedacht: „Was haben die alle?“ Die nordische Kühle habe ich nicht verspürt. Den großen Unterschied gibt es heut nicht mehr so, das war früher anders. Bei der Castingshow, bei der ich in Österreich mitgemacht habe, war das Publikum viel jünger. Deutschland ist halt anders, es ist allein schon zehnmal so groß wie Österreich. Somit können wir hier zehnmal so viel spielen. Mit dem Bus herumzufahren ist wie eine große fahrbare WG durch Deutschland. Deutschland ist für uns ein sehr wichtiges Pflaster.
- SP: Könntest Du Dir auch mal ein englischsprachiges Album und einen internationalen Durchbruch vorstellen?
CS: Zum internationalen Durchbruch würde ich nicht Nein sagen. Das Video zu „Millionen Lichter“ haben wir in Los Angeles gedreht. Wir sind dann mit einem Mietwagen zu einer Tankstelle gefahren. Da wurde dann „99 Luftballons“ von Nena auf Deutsch gespielt. Da meinte Thorsten, mein Manager: „Das wäre total cool, wenn wir in einem Jahr wiederkommen würden und dann läuft „Millionen Lichter“. Prinzipiell glaube ich schon, dass es auch auf Deutsch funktionieren könnte. Aber extra für den internationalen Durchbruch Englisch singen würde ich nicht. Früher habe ich in einer Jazz-Band englischsprachig gesungen. Das habe ich aber für mich erst mal abgehakt. Auf Deutsch zu singen macht mir einfach viel mehr Spaß! Außerdem hat letztes Jahr eine Kollegin auf Englisch gesungen. Als das Lied im Radio lief, sagte unser Gitarrist aus England: „Was ist das für eine Sprache?“ In dem Moment dachte ich mir: „Das ist total peinlich!“ Anscheinend hatte sie so eine falsche Aussprache, dass er, der ja eigentlich diese Sprache spricht, nichts verstanden hat. Dann dachte ich mir: Wenn ich irgendwann auf Englisch singe, muss ich vorher auf jeden Fall einen Englisch-Kurs machen oder am besten: ein Jahr ins Ausland gehen. Vorher würde ich mir die Blöße nicht geben wollen.
- SP: Du hast auch mal bei einer Casting-Show mitgemacht. Beatrice Egli präsentiert bei „Deutschland sucht den Superstar“ Deinen Song „Ich lebe“. Wie empfindest Du das?
CS: Ich muss gestehen, dass ich DSDS nicht schaue. Aber auf unserer offiziellen Facebook-Seite hat jemand gepostet, dass sie morgen „Ich lebe“ singt. Ich kann es jetzt selbst nicht sehen, denn wir werden morgen in der Schweiz spielen. Was lustig ist, weil sie ja Schweizer ist. Ich muss mir das dann am Sonntag im Internet angucken. Es ist selten, dass irgendjemand einen Song von mir in einer Casting-Show singt. Sonst waren es nur Bands wie Silbermond. Christina Stürmer hat erst eine in Österreich gesungen. Das ist auf jeden Fall ein gutes Gefühl! Für Beatrice ist es ja auch schon der Endspurt. Ich drück ihr auf jeden Fall die Daumen! Bei einem Interview erzählte man mir, dass sie Schweizerin ist und dass sie gerne Schlager singt. Sie steht eben auch auf Deutsch. Den typischen Schlager kann man mögen oder nicht mögen. Es wird auch immer sehr negativ darüber gesprochen. Nach einer Casting-Show ist es nicht ganz so einfach, dass man sich da länger hält. Ich werde oft gefragt, warum ich glaube, dass es bei mir funktioniert hat. Ich kann es nicht 100% sagen, aber was echt gut war, dass ich schon wusste, wo ich hingehen möchte und wo die Reise hingehen sollte. Die anderen Kandidaten wussten nicht: Soll es rockig sein? Soll es poppig sein? Oder doch elektronisch? Bei mir war es klar. Wenn man weiß, was man möchte, das hilft schon mal einen riesengroßen Schritt weiter.
- SP: Welche Musik hörst Du privat?
CS: Ich höre so viel bunt Gemischtes. Manchmal ist es doch was Härteres wie z.B. Stone Sour. System of a Down habe ich in Berlin gesehen und das war wirklich unfassbar! Aber das höre ich jetzt nicht nur durch die Bank. Es darf auch gerne etwas Deutschsprachiges sein! Philipp Poisel z.B. finde ich super, auch wenn er ein bisschen nuschelt, man hört ihm trotzdem gerne zu. Auch in Österreich gibt es ein paar musikalische Acts, wie z.B. 5/8erl in Ehr'n, die in Mundart singen – das gefällt mir auch sehr gut. Die haben auch einen Song auf unserem neuen Album mit gesungen. Bis auf Hip-Hop, ist mein Musikgeschmack kunterbunt. Überall wo eine Gitarre dabei ist, ist voll mein Ding.
- SP: Auf SchlagerPlanet sind knapp 200.000 Fans. Möchtest Du ihnen einen Gruß hinterlassen?
CS: Auf alle Fälle ganz liebe Grüße! Ich hoffe natürlich, dass ihnen unsere Musik gefällt und sie bei 1, 2, ach 100 Leuten Anklang findet. Ansonsten hoffe ich, dass alle gesund und fröhlich sind und sich am Leben erfreuen. Das ist für mich die Hauptsache, das Leben kann morgen so schnell vorbei sein.